Durch die geschlossene Glastür im Büro, drangen die leisen und monoton wirkenden Tippgeräusche der Sekretärin einschläfernd. Sicher hatte sie wieder einen Text abzuschreiben, einen Geschäftsbrief zu verfassen, oder eine sonstige Aufgabe um die sie der Mann nicht beneidete. Aber auch er gefesselt an den Schreibtisch, ein weiterer Soldat im Papierkrieg und Sklave der gnadenlosen Politik.
Der dunstige Dampf des noch heißen Kaffees stieg wabbernd aus seiner Tasse und weckte weder durch den unverwechselbaren Geruch, noch durch den koffeinhaltigen Geschmack belebend. Müde war der Mann nicht, er hatte lange geschlafen, sogar ein wenig zu lange wenn man bedachte, in welcher Position er war. Aber dies hatte er sich selbst zuzuschreiben, hatte er nicht noch erst vor kurzen den Präsidenten gedankt für die Stelle.
Wobei Präsident nicht mehr ganz stimmte, offiziell war er nicht mehr Präsident, auch wenn die Kraft seines Amtes – trotz der verlorenen Wahl – noch immer nicht erloschen war.
Er schüttelte seinen Kopf, die mittellangen Haare schwangen bei dieser Bewegung mit und wirkten wie lebendes Feuer.
Der Rothaarige war sich ganz sicher, diese Wahl wurde nicht mit rechten Mitteln geschlagen, man hatte es irgendwie geschafft diese zu manipulieren, sodass am Ende ein völlig verrückter, ein bekennendes, hochrangiges Mitgliedes einer fanatischen Sekte zum neuen Präsidenten ernannt worden wäre und nun als strahlender Held da stand.
Der Mann schob den ledernen Schreibtischstuhl zurück und stand auf. Die Rollen fuhren lautlos über den teuren Marmorboden, anders als seine schwarzen Schuhe. Mit jedem Schritt den der Rothaarige ging, hallte das Geräusch im Raum wieder.
Er blieb vor dem großen Panoramafenster stehen und sah auf die Stadt hinab.
Warum war eigentlich jedes Ministerium in einem so komplexen und großen Gebäude wie diesem hier und wieso waren sie verteilt? Klar, in der Bronx stand kein solches Gebäude, die Wachen könnten einen sonst leid tun, aber ansonsten waren sie im jeden Stadtteil von New York verteilt.
Wovor sollte dieser angebliche Messias sie eigentlich retten? Vor zu viel Wohlstand? Vor Wirtschaftswachstum und stärkeren Bindungen zwischen den Bündnisländern?
Ganz sicherlich nicht, er würde alles nur verschlechtern und, mit den Augen eines Zynikers, alles in einen endlosen Strudel des Nichts stürzen.
Aber selbst als Optimist müsste man doch eigentlich Mal auf den Gedanken kommen, dass das alles schon viel zu glatt läuft seit Jahren?
Der Mann wusste es nicht. Geboren als Pessimist, hatte er auch diesen Lebensweg beibehalten, obwohl sich sein Leben um mehr als 360° Grad gedreht hatte. Zum positiven natürlich, sonst würde er wohl nicht hier sitzen.
Wo er dann wohl wäre?
Entweder im eigenen Grab, sofern man noch so Gütig gewesen wäre seine zerstückelten Körperteile in einen Schuhkarton in die Kanalisation zu werfen, oder in DEM größten und besten Gefängnis der Welt, wo nur die hinkamen, die als reine Ausgeburt des Bösen verschrien wurden.
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen als ein schüchternes Klopfen von der Glastür widerhallte.
„Ja!“. Der Mann sprach dies ohne sich umzudrehen, an der zarten und scheuen Aura erkannte er bereits seine Sekretärin. Ein Wunder, dass ein zerbrechliches Wesen wie diese Fee es geschafft hatte in der unbarmherzigen Welt der Karriereleute Fuß zu fassen.
„Entschuldigen Sie vielmals die Störung Herr Ivanow, aber hier ist ein Mann der sie sprechen möchte“, berichtete sie demütig mit ihrer piepsigen Stimme. Der Blick war konzentriert auf den Marmorboden gerichtet, als versuche sie sich das schwarz-weiße Muster einzuprägen.
Wenn doch alles nur so leicht wäre, schwarz und weiß.
Er stieß einen leisen Seufzer aus und drehte sich mit seinen mageren, aber dennoch hoch gewachsenen Körper zu ihr um.
„Wer?“, verlangte er einsilbig von ihr zu wissen.
Seit wann war er eigentlich so geworden? Einsilbig, befehlend,…
Hochmütig!
„Ein gewisser Herr Angelus. Er hatte mir versichert, dass sie ihn bereits erwarten“. Der jungen Frau stieg die Schamesröte ins Gesicht. Sie hatte den Fremden wirklich geglaubt, doch die Frage ihres Chefs hatte etwas anderes bewiesen.
’Heute also…’. Der Mann schloss für einen Moment seine Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Er war nie besonders gläubig gewesen, bei den zwölf Weisen, nur unter Drogen hatte er einen Glauben gehabt, den glauben an Mephisto, seinen Erschaffer und Todsfeind.
Herr Ivanow öffnete die Augen und sah grad noch wie die blonden Locken aus dem Türrahmen schwangen, dem Getrippel hochhackiger Pumps folgend.
Er wusste was auf ihn zu kam und ging seinem unausweichlichen Schicksal entgegen. Trotz des Wissens stahl sich ein seltsames Lächeln auf seinen Lippen. Sein Henker beflügelte ihn mit seiner Falle, die gleichzeitig für seine Opfer eine Gabe war. Er hatte keine Angst, glaubte im Moment sogar fliegen zu können!
Sicher, er würde auch das jetzt noch schaffen können.
Gut dass das Panoramafenster nicht zu öffnen war, er wollte es nicht testen um am Ende einen enttäuschten Todsünder zurück zu lassen, der gar nicht auf seine Kosten kamen durch den verunglückten Versuch.
Herr Ivanow hatte sich auf alles gefasst gemacht, was gleich durch die bläuliche Milchglastür kommen würde. Egal ob ein Ork á la Herr der Ringe, eine Seeschlange wie sie in der Bibel stand, oder ein Gehörnter auf Ziegenfüßen mit sowohl männlichen wie auch weiblichen Attributen, die so schamlos zur Schau gestellt wurden als wolle er die Menschen verhöhnen.
Aber auf das war er nicht vorbereitet.
Ihm gegenüber stand ein Mann mittleren Alters, er musste jünger sein wie der Rothaarige, aber nicht sehr viel. Der teure Amarnianzug saß wie maßgeschneidert an seinem durchtrainierten Leib, war es vermutlich auch. Die Farbe der Kleidung unterschied sich mit dem des Mannes, wie es schärfer nicht ging. Strahlend weiß, wie sein langes, glattes Haar. So etwas hatte Herr Ivanow schon Mal bei Einhörnern gesehen, aber nicht bei einem Menschen.
Das Gesicht war markant und definitiv männlich geschnitten, was die aristokratischen Züge wunderbar hervorhoben.
Es gab selten Männer bei denen Mann das Wort „schön“ benutzte, aber bei ihm schien es fest im Namen und im Antlitz verewigt zu sein.
Neben ihm kam sich der Rothaarige wie ein Bauer vor, selbst Kai Hiwatari wäre über die stolze und mächtige Ausstrahlung des Fremden sicherlich neidisch geworden.
Aber noch ungewöhnlicher als seine Haare, als wäre irgendwas an ihm gewöhnlich, waren seine Augen, sie waren von einer Farbe wie flüssiges Gold. Nicht gelblich oder mit einer Spur von Braun, reines und pures Gold.
Der Aristokrat streckte seine Hand aus.
„Ich hoffe doch ich störe nicht?“. Es interessierte ihm nicht, diese Frage war eine rein eingeübte Höflichkeitsfloskel, eine Phrase.
„Ich hatte sowieso gerade nichts zu tun, nehmen sie doch bitte Platz“, antwortete Herr Ivanow. Er widerstand dem Drang – Ich habe auf Sie gewartet – zu sagen, gerade noch so
Stattdessen ergriff der Rothaarige die ausgestreckte Hand des Fremden und erschauderte sofort.
Er war eiskalt, wie eine Leiche!
Dann stimmte es also doch, dass Erzengel, aufgrund des fehlenden freien Willens, keine Gefühle empfinden konnten.
„Lux Ferre“.
Oh ho, der Lichtbringer benutzte die beiden lateinischen Begriffe, Lux als das Licht und Ferre wie bringen, als Namen. Passend, passend.
„Tala Ivanow, aber das wissen Sie bestimmt schon bereits. Bitte setzen Sie sich doch“. Es war keine gespielte Höflichkeit von Seiten des Rothaarigen aus, auch wenn in Talas Stimme ein leichter Hauch von Ironie mitschwang.
„Wie kann ich Ihnen weiterhelfen Herr Ferre. Sicherlich wollen sie die Kontakte mit unserem Land, oder mit mir, erweitern. Doch helfen Sie mir ein wenig auf die Sprünge, in welche Richtung soll es gehen? Den sieben Höllen oder doch in den Garten Eden?“. Der Rothaarige packte den Stier, oder auch das Tier, wie der Teufel manchmal genannt wird, gleich bei den Hörnern. Warum lange herumreden? Mit dem Sensenmann sprach man doch auch nicht noch über die aktuelle Wirtschaftslage, wenn er vor deiner Haustür stand und schabend seine Sense schärfte.
Der Todsünder schien nicht überrascht zu sein, ein amüsiertes Grinsen legte sich auf seine schmalen Lippen. Wie konnte Tala auch nur davon ausgehen, dass er einen Erzengel überraschen könnte? Sicher hatte es der Fremde schon voraus gesehen, schließlich war er, Luzifer, nicht nur der Lichtbringer und stärkster Erzengel vor seinen Fall, sondern auch noch Gottes Liebling.
„Ich führe sie in die Richtung, in die sie gehen wollen. Herr Ivanow, sie sind ein Mensch und können frei entscheiden, ich kann ihnen meine Meinung nicht aufzwingen“.
Der Rothaarige schnaubte verächtlich.
„Ach, sie können niemanden ihre Meinung und ihren Willen aufzwingen? Was war dann mit den anderen Angriffen? Sie führen doch nur die Befehle eines Menschen aus, eines Menschen“. Er spuckte dieses Wort „Mensch“ nur so aus, als wäre es ein Schimpfwort, welches einen bitteren Geschmack auf der Zunge hinterließ.
„Man erzählt sich ja so einiges über ihren Fall, aber das sie so tief fallen können ist wohl jedem neu“, warf ihm Herr Ivanow mit lauter werdender Stimme an den Kopf. Sein reines Oxford Englisch hatte sich verabschiedet, an seiner Stelle trat die tiefere Stimme, die ganz deutlich mit einem russischen Akzent geschwängert war.
„Meinen Willen kann ich schon Mal niemanden aufzwingen, denn ich besitze keinen. Dieses Geschenk, diese Gabe, sie gebührt einzig und allein die Bewohner dieses Planeten. Ihr allein habt die Wahl was ihr mit euren Leben macht, was aus euch wird und was für Entscheidungen ihr trefft. Auch wenn ich dir drohen würde zu kapitulieren, indem ich deine Söhne bedrohe, hättest du noch immer die Chance zu wählen. Dein Leben oder ihres. Verstehe endlich Mensch, dass wir Todsünder nichts weiter sind als die Gegenstücke zu den sieben Tugenden. Sie thronen noch immer im Himmel, wo sie erschaffen wurden, wir entstanden erst durch unseren Fall, indem wir an Lillith sahen, was der Herr mit ihr gemacht hat nachdem sie sich Adam nicht unterordnen wollte, obwohl beide gleichberechtigt waren. So fühlten auch wir uns und du kannst von Güte sprechen, dass der Herr, wie ihr ihn immer nennt, nie nah bei euch ist“.
Tala schlug mit der geballten Hand auf die metallische Schreibtischplatte.
„Sag endlich was du von mir willst!“, schrie er den Dämon an.
Vor seinem Büro erstarben die Geräusche des monotonen Tippens und der Wolfsmensch meinte den Angstschweiß zu riechen, wie die kleinen Schweißtropfen sich auf der Stirn seiner Sekretärin bildeten.
Dieser Dämon provozierte ihn, verhöhnte den Rothaarigen und wollte ihn in die Irre führen. Aber nicht mit ihn, nicht mit Tala Ivanow, der das Intrigenspiel des Bösen eigentlich noch durchschauen müsste.
Doch hatte er seine frühere Gelassenheit, die ein wichtiges Attribut der Dunklen war, bereits verloren.
„Gib deine Suche auf und vergiss die Wahlen. Deine Freunde sollen aufhören zu suchen, sowohl nach den Beweisen, die Lifaen zu Gunsten kämen, sowie nach uns. Einen hat dieser kleine Giftmischer bereits vernichtet und der andere ist für uns nicht erreichbar im Reich der Engel. Wir wurden von Heiligen verbannt und von einen großen Sünder wieder befreit, lasst uns auf der Erde und wir machen nichts außer das, was alle Lebewesen tun“.
(Kann gerne jemand darauf antworten wenn er möchte, habs absichtlich mit offenen Ende gemacht, muss noch nachdenken wie sich das entwickelt ^.~ Komme auch erst später wieder, so gegen 17-18 Uhr)
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