Tag 1
Ich befand mich längst in Indien als der Unfall passierte. Mein Gepäck lag noch unberührt im Hotelzimmer, da ich mich direkt vom Flughafen zum Drehort hatte fahren lassen. Wie erwartens, war ich der letzte Schauspieler, der eintraf, dabei hatten schon vor mir einige Verspätung. Ich setzte meine Sonnenbrille auf als ich ausstieg und zupfte kurz das beigefarbene Hemd zurecht.
Von dem Reggiseur ließ ich mir erklären, was genau meine Rolle war und worum es in dem Film ging. Zwar hatte ich das Drehbuch gelesen, trotzdem war es einfacher seine Rolle besser spielen zu können, wenn man Hintergrundinformationen über seine Rolle erfährt. Nun gut, dass ich nicht gerade die Hauptrolle bekam und den völlig Liebestrunkenen Jüngling spielen konnte, war mir durchaus vorher klar. Die Rolle hätte sowieso nicht zu mir gepasst. Schließlich sagte ich ja selbst oft genug, dass ich mit Gefühlen nicht viel am Hut habe. Da passte die Rolle des reichen, strenge Vaters, der seinen Sohn verstößt weil er eine aus ärmlichen Verhältnissen heiratet, doch recht gut zu mir.
,,Du hast den Text gelesen, wo auch du gleich zu Anfang schon singen musst?´´, fragte mich der Regisseur und sah mich dabei teils beängstigt und teils erwartungsvoll an. Klar, ich war ein Vogelmensch, somit hatte ich schon mal eine schöne Stimme. Allerdings hatte die bisher kaum jemand zu hören bekommen.
,,Selbstverständlich, wir können somit auch gleich los legen wenns denn recht ist. Ich möchte keine Verspätungen und längser bleiben wie möglich. Der Spruch, einmal ist keinmal gilt bei mir nicht. Wer der Grund für eine Verspätung ist, den mach ich Feuer unterm Hintern und sei es der Hauptdarsteller oder die Hauptdarstellerin persönlich´´. Innerlich musste ich schmunzeln. Sicherlich "freuten" sich die meisten jetzt schon auf die vielen stressigen Tage mit mir.
So ganz gefielen mir meine Klamotten für den Film nicht, auch wenn ich bereits eine etwas ältere Rolle spielte als ich eigentlich bin, aber nur weil man älter wird muss man doch nicht gleich unbetonende Sachen tragen. Nun gut, wenigstens durfte ich mit akzentreicher Stimme sprechen und singen und ich war zudem im Film noch mit einen Mann verheiratet.
Mit gespieltem Stolz beobachtete ich, während die Kamera lief, wie mein Filmsohn die Gunst der Frauen genoss. Für den Zuschauer ist es allerdings offensichtlich, dass er das Dienstmädchen im Auge hat, was ich allerdings nicht merken durfte. Recht spät bemerkte ich die Frauen, die um mich herum tanzten. Wie es sogar für mich selbst typisch ist und was meine Rolle auch macht, verdrehte ich genervt die Augen und scheuchte die jungen Frauen mit einen genervten Ton weg.
Als daraufhin aber ein netter Jüngling neben mir war, öffnete ich meinen Mund und sollte nun ebenfalls singen. Gleich daraufhin erstarb meine Stimme aber während des ersten Tons, als mich Beors Nachricht in Gedanken erreichte. Im selben Augenblick wie ich die Worte vernahm, wurde mir die Luft zum Atem geraubt. Das ganze Filmset und das Geschehen um mich herum war wie erstarrt, als würde die Zeit nicht vergehen. Es dauerte aber bis ich die Worte richtig verstand und sie auch begreifen wollte. Ich merkte nicht wie ich einige Male direkt hintereinander blinzelte und eine Träne verlor.
Ohne ein Wort zu sagen drehte ich mich sofort um und ergriff fest die Schulter meines Bruders, den ich gerufen hatte. Auf ihn war verlass, dass er so schnell wie möglich kommen würde, wenn etwas ist. Nur ein einziges Wort verließ meine Gedanken an ihn, nämlich "Krankenhaus".
Es gab viele Krankenhäuser in New York, aber gerade deswegen hatte ich ja Chris gerufen und niemand anderen, denn er suchte sichd as Krankenhaus aus, wo er Amigos aura spürte. Läge irgendwer anderes meiner Familie dort, hätte er diese Person auch sofort gefunden, weil er schon nach einer bekannten Aura suchte.
Kam trat ich durch die fläsernen Türen, kam es mir vor, als starrte das Persln mich voller Furcht und Mitleid an. Das erste war auf jedenfall berechtigt, meine Wutausbrüche waren bekannt. Ich betete nur, dass es keinen Grund gab um Mitleid mit mir zu haben.
,,Wo liegt er?´´, fragte ich hastig und schreckte damit die Empfangsdame auf. Namen brauchte ich nicht nennen, mein Mann war nicht irgendein Patient und ich war nicht irgendwer. Arroganz war mir praktisch in die Liege gelegt worden, aber es entspricht der Wahrheit, dass ich einen großen Teil dazu beigetragen hatte die Oberfläche wieder bewohnbar zu machen und ich hielt sie jetzt noch Aufrecht, indem ich mich um die Wirtschaft des Landes kümmer.
'Zumindest bis jetzt', ging es mir durch den Kopf, obwohl ich mir niemals den schlimmsten Gedanken vorstellen würde. Der Gedanke, dass ich meinen Mann zum letzten mal gesehen hatte. Für den Fall würde ich nicht mehr lange in Amerika wohnen.
Ich blieb vor den großen Türen der Intensivstation stehen und sah noch ein mal zurück. Der Flur war nicht beleuchtet und trotzdem konnte ich mein verzerrtes Spiegelbild in der matten Oberfläche der Türen sehen. Meine Hand zitterte als ich sie hob und die Klingel betätigte. Auf der Intensivstation konnte man nicht einfach so ein und ausgehen wie man wollte. Jeder einzelne meiner Schritte in die Station hinein wurde langsamer und zögernder. Ich fühlte mich unbehaglich und die Blicke der Schwestern und Ärzte machte mir Angst. Vor dem Zimmer mit der Nummer 6 auf den Schild neben der Tür blieb ich stehen und sah durch das Fenster hindurch. Unruhig wanderte mein Blick zu den ganzen Geräten und Schläuchen, an die Amigo angeschlossen war.
Ganz leise und zögernd erklang die Stimme einer jungen Krankenschwester hinter mir:,, Herr Hiwatari, Sie sollten nicht´´. Noch mitten im Satz drehte ich mich ruckartig um und holte dabei aus, traf die Wange des Mädchens auch nur mit den Handrücken. Trotzdem fiel sie auf den Boden. ,,Ich soll was nicht? Nicht hier sein und wieder so tun als wüsste ich von nichts. Keiner aus eurem Krankenhaus hat mir bescheid gegeben obwohl es eure beschissene Pflicht ist. Wenn dir dein Leben lieb ist, dann rück zur Hölle nochmal mit den Daten raus, wie lange wusste ich hiervon nichts und was ist eigentlich passiert?´´, fuhr ich sie an, redete mich dabei mit jedem weiteren Wort noch mehr in Rage und verlor fast die Kontrolle. Pfleger eilten bereits der Frau zur Hilfe und versuchten mich festzuhalten. Ein einzelner kleiner Stich war das einzige was ich spürte, mir Schwarz vor Augen wurde. Sie hätten eher damit rechnen müssen, dass ich ausraste wenn es um meine Familie geht.
Tag 2
Mit pochenden Kopfschmerzen wachte ich am nächsten Tag auf. Das Bett war warm, die Decke weich und die Sonne schien bereits hell. Ich hörte das fröhliche Singen der Vögel, doch all diese Fröhlichkeit erreichte mich nicht, sie blieb mir fern. Der erste Gedanke, den ich fassen konnte, nachdem man mich gestern ruhig gestellt hatte, galt meinem Mann, der hier lag. Wut, Zorn, Hass sowie Selbsthass und unendliche Trauer vermischten sich zu einem Coktail, der mir die Kehle zuschnürte.
Ich blinzelte.
Mein Blick war verschleiert auf das Fenster gerichtet und doch zwang ich mich keine einzige Träne zu vergießen. Ich war gestern nicht zu Hause und inzwischen mussten auch die Kinder davon erfahren haben. Meine eigene Trauer musste ich zurückstellen, es reichte schon, dass die Kinder wohl am Boden zerstört waren und Angst um ihren Vater hatten. Da musste ich nicht auch noch schwach werden, durfte es auch gar nicht. Schwerfällig, als hätte man mir mit Amigo meine Lebenswillen genommen, erhob ich mich und ließ mich nach Hause beamen.
Es war nicht anders zu erwarten. Obwohl bereits Schulzeit war, spürte ich die Auren meiner Kinder in der Villa. Ich nahm mir erst gar nicht vor etwas dagegen zu sagen, sollten sie ruhig zu Hause bleiben. Was würde ihnen jetzt schon der Unterricht nutzen? Ich ließ Chris stehen wo er war. Es war seine Sache zu gehen oder nicht, mir war es egal, mir war fast alles egal. Kaum hatte ich das Wohnzimmer betreten, wurde ich auch fast schon umgerissen von Justin, der sich in meine Arme geworfen hatte. Gerade er, der immer so taff tat, war derartig am Boden zerstört und weinte. Es war schwer meinen Sohn zu trösten und ihn einzureden, das alles wieder gut wird, wenn man selbst am Ende war. Aber Amigo mochte es noch nie wenn die Kinder traurig sind, schon allein deswegen musste ich jetzt meine ganze Kraft dazu nutzen um wenigstens sie zu trösten und ihnen Hoffnung zu machen. Ich durfte mich für die Kinder nicht gehen lassen.
Tag 3
Es war Spät in der Nacht als ich mich nach Stunden des starren Ausharrens von den Stuhl neben Amigos Bett erhob. Das Licht war gelöscht und auch draußen war kein einziger Stern zu sehen. Was blieb waren nur die vielen Lichter der Maschinen an den mein Mann angeschlossen war. Ich nahm das Piepen nicht mehr war, genauso wenig wie die Besuche der Krankenschwestern und der Ärzte. Vielleicht waren noch andere da gewesen, ich weiß es nicht. Meine Augen brannten und mein Kopf schmerzte. Ich hatte seit der Nachricht weder etwas gegessen, noch etwas getrunken. Ich verspürte auch keinen Hunger. Kein Wunder. Wer in solch einen Moment Hunger verspürte, der hatte kein Herz. Das dachte ich ja auch immer von mir, zumindest hatte ich es gedacht, bis ich ihn traf. Der einzige Mann, bei dem es mir nur darum gegangen war ihn rumzukriegen. Ich hatte ihn von Anfang an zu sehr gemocht, als dass ich ihn einfach nur "ein mal haben wollte".
Allein die Vernunft und der Gedanke, für meine Familie da sein zu müssen, veranlasste mich das Zimmer zu verlassen, meinen Mann für einen Moment aus den Augen zu lassen. Vielleicht auch gut so. Er sah furchtbar aus. Noch immer keimte in mir der große Hass auf den Fahrer. Ich nahm mir fest vor herauszubekommen welch feiges Schwein das war. Der Mensch würde des Lebens nicht mehr froh werden, das schwor ich.
Nur vereinzelt hörte ich einige Nachtschwestern durch das Gebäude laufen. Sie waren leise und gaben fast keinen Laut von sich. Eine gespentische Stille, die ich viel zu bedrückend fand. Es war schlimmer als auf einen Friedhof. Gerade ich sollte keine große Angst vor dem Tode haben, trage ich doch einen Teil einer Phönixseele in mir. Für meine Familie gehörte es nicht zum Glauben, dass der Tod etwas Schlimmes sei, dass damit alles vorbei wäre. Es wäre nur wie eine Geburt, man legt das alte Leben ab und beginnt ein Neues, man ist frei von den Sünden und schlechten Erinnerungen. Und doch hatte ich Angst davor Amigo zu verlieren. Er durfte nicht einfach so gehen und mich und die Kinder verlassen. Ich würde es nie schaffen, ich wusste das jetzt schon. So viele fürchteten mich, beneideten mich auch um mein Leben, meine Stärke, mein Aussehen, um so vieles. Sie hielten mich für stark, wie ein Held der alles schafft und jede Kriese übersteht.
Ich lehnte mich gegen den großen Getränkeautomaten im Flur und spürte die kalte Oberfläche auf meiner Haut. Mir war so schrecklich kalt, dass ich zitterte. Es war eine Kälte, die von Innen kam, ich konnte selbst nicht mal mehr meine Magie richtig nutzen. Die letzten par Tropfen des Kaffees tropften lautlos in den Papierbecher hinein. Ich rührte den Becher nicht an, sondern starrte nur aus leeren Augen hinunter.
Meine Hand ballte sich zur Faust, vor meinen geistigen Auge spielte sich wie von selbst das Video in meinen Gedanken ab, wie Amigo angefahren wurde und der Fahrer einfach verschwand. Ich schrie auf und schlug mit aller Kraft gegen den Automaten. Der Kaffeebecher fiel hinunter, mit einem "platsch" ergoss sich der Inhalt auf den hellen Boden. Meine Knöchel schmerzten und doch verspürte ich keinerlei Erleichterung. Zwei - drei - sogar 5 mal schlug ich noch dagegen, bevor das Gefühl unerträglich wurde.
"WIESO?". Mit einen verzweifelten Schrei brach ich zusammen und sank auf die Kniee. Heiße Tränen rannen über meine Wangen und fielen auf den Boden. Mit jeden weiteren Tag den Amigo im Koma lag sank die Chance, dass er erwachen würde. Ich hatte Angst ohne ihn weiter leben zu müssen. Ich hatte mir nie ein Leben ohne ihn vorgestellt. Damals schon, aber damals hatte ich nicht vor so alt zu werden, da wäre ich schon längst gestorben. Ich wäre in der Schlacht der Apokalypse gefallen.
Ich fühlte mich elendig, leer, wie ausgebrannt. Zu meinen Tränen kam noch das bitterliche Schluchtzen hinzu. Es war Nacht und kaum einer war im Krankenhaus. Kein normaler Mensch würde mich hören. Bei einigen die ich kannte, wie Beor und Karal, wusste ich es jedoch nicht, bei ihnen war ich mir aber auch nie sicher, ob sie nicht vielleicht doch irgendwo in einer Ecke waren und alles mitbekamen.
Aber so konnte ich es machen. Still, heimlich in der Nacht. Ich musste für meine Familie da sein um sie zu trösten und Kraft zu geben, auch musste ich in Amigos Nähe stark bleiben, er sollte keine negativen Gefühle mitkriegen.
Dass keiner für mich da war musste ich in Kauf nehmen, es war nur sehr gering zu dem, was Amigo momentan durchmachen musste.
Tag 4
Längst hatte ich es aufgegeben mein Handy anzuschalten, oder gar meinen Geist offen zu halten. Lediglich meine Familie ließ ich noch hindurch, dass sie mich erreichen konnte, aber jeder andere, selbst Freunde und Bekannte, ließ ich gegen eine unzerstörbare Mauer prallen. Sollten sie es ruhig versuchen da hindurch zu dringen, ich würde solange standhaft bleiben, biss ich vor Schmerzen ohnmächtig werden würde.
Ich hatte es nämlich satt.
Selbst meinen leiblichen Sohn Mark ließ ich nicht hindurch, wobei dies eher unbewusst geschah. Die Sorgen und Ängste um meine Familie nahmen meine ganze Aufmerksamkeit und Kraft auf sich.
Aus diesem Grunde war ich auch so erstaunt, als ich auf den Krankenhausgängen Mark über den Weg lief.
Ich blieb erst stehen als ich beim Automaten war und mir etwas zu trinken holte. Natürlich Kaffee. Aber selbst mit dem Getränk fiel es mir schwer meine Augen offen zu halten.
Ich schlief nicht.
Ein bis zwei Stunden, aber nie am Stück. Die Müdigkeit musste mich schon zwingen in den Schlaf zu fallen. Eher gab ich nicht nach.
"Wie...", begann Mark, der sich neben mich gestellt hatte. Mir war sofort bewusst, was er fragen wollte, schließlich würde ich die Frage nicht zum ersten mal hören. Aber er musste wohl selbst gemerkt haben, dass die Frage nichts bringen würde und wie sehr es mir weh tat immer das gleiche zu sagen. Oder aber er hatte selbst Angst das zu hören, was man mir immer sagte. "Ich werde hier bleiben Dad. Nicht dass du denkst ich sag das, weil ich eine Absage bekommen habe, ich war sogar zum Einstellungstest mit und habe bestanden, aber ich werde hier bleiben, ich gehe nicht nach Schweden".
"Tu was du nicht lassen kannst. Ich misch mich in deine Erziehung nicht ein". Vielleicht waren meine Worte zu hart, aber was sollte ich auch sagen? Mich freuen und ihn umarmen, dass er sich entschloss hier zu bleiben?
Allein schon der Gedanke so zu handeln, trieb mir die Tränen in die Augen, denn Amigo hätte sicherlich so gehandelt und sich so über die Nachricht gefreut.
Mark den Rücken zu gewandt, kämpfte ich gegen die Tränen an und trank meinen Kaffee. Dieses unerträgliche Gefühl wurde selbst für mich zu viel. Der starke Schmerz in der Brust ließen sogar fast meine Selbstbeherrschung vollends erlischen.
"Dad?". Mark weinerlicher Ton überraschte mich, weswegen ich mich nun auch umdrehte und ihn ansah.
"Ich weiß wir hatten vorher nie was miteinander zu tun und auch jetzt haben wir kaum Kontakt, aber ignorier mich jetzt nicht noch. Es ist echt scheiße, Amigo kenne ich kaum und trotzdem habe ich um ihn mehr Angst als um meine eigene Mutter".
So cool und unantastbar Mark auch immer tat, nur noch nicht so schlimm wie ich, reagierte er in diesem einen Punkt aber genau wie ich. Auch er konnte es nicht verkraften Amigo hier in diesen Zustand zu wissen.
Tag 5
Ich halte es kaum aus.
Und das jetzt schon nicht.
Dabei arbeitete ich nicht und schaffte nicht mal den Spagat zwischen Villa und Krankenhaus. Zwar hatten wir eine Haushälterin, die sich um die Zwillinge noch kümmern konnte, aber selbst die erfahrene Frau war mit ihrem Latein am Ende. Zumindest soweit sie erzählte. Sie verschwieg mir nämlich die Vermutung, dass die Kleinen Amigo vermissten und sich deswegen nicht beruhigten.
Aber ich war nicht blöd und die zwei waren schließlich meine Söhne. Man musste mir nicht sagen was mit ihnen los war. Aber unschuldig daran war ich bestimmt nicht. Sie spürten sicherlich auch meine innere Unruhe.
Es fiel mir schwer in der Nähe meiner Familie ein auf gute Hoffnung und Optimist machen zu müssen. Immer wieder versuchte ich wenigstens meiner Familie Mut zu machen, dass sie den Kopf nicht hängen lassen sollen, das mit Amigo wird schon wieder. Er ist schließlich stark und würde seine Familie niemals in Stich lassen.
Diese Dinge zu denken ging ja noch, aber sie auszusprechen und dabei in die traurigen Augen der eigenen Familie zu blicken ist hart. Zum Glück war ich nie ein Mann der großen Worte, aber dafür immer einer, der mit wenigen viel erreichen konnte.
Immer wenn ich wieder soetwas hinter mir hatte, ging ich raus.
Sofort.
Wenn mich keiner sah beeilte ich mich sogar.
Ich brauchte Luft und vor allem musste ich raus bevor mich irgendwer noch so sah.
Verletzt, am Ende, nur noch ein Schatten meiner selbst.
Ich hatte keine Ahnung wie es ohne Amigo weiter gehen sollte, ich wollte nicht, dass es ohne ihn weitergehen muss.
Ich stützte mich mit den Armen gegen die Garagenwand ab und starrte auf den Boden. Mein Blick war auf einen imaginären Punkt konzentriert, trotzdem verschwamm irgendwann alles vor meinen Augen und ich spürte wie Tränen zu Boden tropften.
Ich fuhr mir mit den Handrücken über die Augen udn sah zu meinem Motorrad.
Im Grunde forderte ich das Schicksal heraus. Sollte der Tod doch mein Leben nehmen und Amigos verschonen. Für die Familie wäre gesorgt, das Erbe wäre groß genug um sie in diesem Lebensstil weiter versorgen zu können und trotzdem würden sie nie das ganze Vermögen ausgeben können.
Ich holte aus dem Motor alles raus was ging, mit der maximalen Geschwindigkeit raste ich über die Straßen, entging auch oft nur knapp einen Unfall.
Aber ich kannte das Schicksal gut genug um zu wissen, dass es niemals Herz zeigte und mir meinen Wunsch erfüllte. Als Junger Erwachsener war ich damit klar gekommen einen Leben in Einsamkeit zu führen und im Krieg zu sterben. Erst als ich Amigo kennen lernte wusste ich, was es heißt zu leben. Und nun, da ich es anders nicht mehr kenne, wollte man es mir wieder wegnehmen?
Niemals.
Ich nahm eine Kurve zu eng und geriet mit der Maschine auf den Asphalt. Das Motorrad überschlug sich unzälige Male, bis es etliche Meter über die Straße schliff und gegen einen Baum prallte.
Nichts als ein Totalschaden.
Und während ich mitten auf der Straße lag, mit nicht mehr als ein par Kratzer und spürte, wie mein Tattoo auf den Rücken wie Feuer brannte, sah ich in den klaren, wolkenlosen Himmel.
Mir war klar, dass ich den Unfallfahrer, der schuld an Amigos Leid war, wohl nie finden würde.
Und so schwörte ich:
Sollte Amigo nie mehr erwachen, wird Amerika meine Rache zu spüren kriegen. Ich werde so lange die Stadt zerstören und mich an die Menschen rächen, bis der Fahrer sich freiwillig meldet. Es wäre mir egal, wie viele Millionen ich umbringen müsste, irgendwann hätte ich den Schuldigen schon unter den Opfern.
Und niemand, wirklich niemand, könnte mich davon abhalten.
Tag 6
Schon seit Stunden saß ich schweigend auf den Stuhl neben Amigos Bett und starrte mit leeren Blick auf meinen Mann. Noch immer hatte sich nichts geändert an seinen Zustand. Die Unmut und Hoffnungslosigkeit in mir wuchs von Tag zu Tag. Ich mochte erst gar nicht daran denken was wäre, wenn Amigo wirklich nie mehr aufwachen würde.
Heute, in den frühen Morgenstunden, war ich nach ein par Minuten Schlaf wieder aufgeschreckt. Ich hatte kurz die Kinder gesehen, am Grab ihres Vater und danach mich.
Blutverschmiert
In einer zerstörten Stadt.
Ich war nicht böse und plante mit Absicht einen der wohl größten Rachefeldzüge, aber ich war mir sicher, dass selbst die Ärzte hier wussten was geschehen würde, wenn ich Amigo verliere.
Unwillkürlich kamen mir all die Dinge in den Sinn, die ich verpasst hatte, die ich mit Amigo noch hätte machen wollen. Ich war ein Arbeitstier, ja, das gab ich auch durchaus zu, aber ich wollte meine Familie auch für die Zukunft absichern, falls mir etwas passiert. Aber was ich dafür alles verpasst hatte und wahrscheinlich nie mehr nachholen würde, kam mir erst jetzt in den Sinn. Es war schrecklich sowas zu wissen, trotzdem behielt ich dieses mal die Tränen bei mir.
,,Es ist nicht fair´´, murmelte ich leise und sah Amigo an. ,,Warum passiert sowas immer nur den Menschen, die sowas nie im Leben verdienen?´´.
Tag 7
Von einem Arzt, da für die Krankenschwestern zu große Gefahr in meiner Nähe bestand, wurde ich gebeten wenigstens diese Nacht nicht im Krankenhaus zu verbringen. Man sah es mir wohl an, wie kaputt ich war. Aber selbst wenn ich es jetzt noch verbergen könnte, war es klar. Nicht jeder konnte nachvollziehen wie es mir in dieser Situation erging, aber der ein oder andere hatte sowas ähnlich bestimmt schon durchlebt.
Ich verließ zwar das Krankenhaus, sogar ohne Proteste, aber ich ließ meinen Geist dort und auch Dranzer. Niemand sollte es auch nur wagen etwas bei meinem Mann zu tun, von dem ich nicht wusste.
Anstatt nach Hause zu gehen, führten mich meine müden Schritte in die nächstbeste Kneipe. Schweigend ging ich an den Tresen und bestellte mir Wodka.
Pur.
Während ich trank und der Promillewert in meinem Blut stetig stieg, versank ich in meinen Gedanken. Ich musste an Beor denken. Er hatte seine Frau vor vielen Jahren verloren und lebte, bis Isi kam, allein mit den Kindern.
Ich könnte es nicht.
Nie würde ich mich noch ein mal auf irgendwen einlassen, oder mir gar verlieben. Klar, sowas ist leicht gesagt in meiner Situation und auch wenn ich ewig leben würde, würde ich alleine bleiben. Ich würde es anders nicht wollen. Ich war geboren und ausgebildet zum kämpfen und töten. Nur Amigo hatte mir gezeigt wie es ist anders zu leben, mit einer eigenen Familie und geliebten Menschen. Mit ihn würde auch dieser Teil in mir sterben. Für meine Kinder wäre ich weiterhin da, aber es wäre nie mehr wie früher.
Engel werden durch sowas zu gefallenen Engeln, sogenannte Racheengel.
Ich, als Vogelmensch mit den Anteil an Phönixblut, würde zum Rachevogel werden. Eine Krähe gab vielen schon ein seltsames Gefühl der Unruhe, ich würde soweit gehen, dass jeder lebende in meiner Nähe nach den Tod fleht.
Sternhagelvoll bezahlte ich meine Getränke und taumelte vom Tresen. Ich stolperte fast vom Hocker und stieß dabei gegen jemanden. Natürlich konnte ich meine Klappe nicht halten und machte den Fremden blöd von der Seite an. Anstatt mich aber auf eine Diskussion einzulassen, ich war schließlich viel zu betrunken, schlug ich zu und fing eine Schlägerei an.
Es war schon peinlich für mich vom Wirt rausgeschmissen zu werden und auf der Straße zu landen. Aber zum Glück hatte er mich nicht erkannt, sodass ich mich nicht um eine Schlagzeile in der Zeitung sorgen musste.
Während ich auf der Straße halb lag und halb saß, kauerte ich mich zusammen und schlang die arme um mich selbst. Wie lange ich so da lag, in meinen eigenen Selbstmitleid zerflossen, wusste ich nicht.
Aber der Alkoholpegel blieb relativ hoch, was ein kurzer Besuch in der Tankstelle nicht gerade minderte.
Ich lief durch die Straßen, realtiv grade, und nippte dabei immer wieder an der Flasche Hochprozentigen.
In den heruntergekommenen Straßen trank ich dann auch den letzten Schluck aus und warf die Flasche weg. Klirrend zerbrach sie auf den harten Asphalt. Ich hatte meine Hemmschwelle überschritten und keinen Sinn mehr für Moral. Ohne ersichtlichen Grund ging ich auf den erstbesten Mann, der wahrscheinlich eh ein Krimineller war - in diesen Straßen nichts ungewöhnliches - los, und schlug ihn nieder. Ich stoppte auch nicht als er am Boden lag, den Kopf nur noch als blutige Masse erkennbar.
Allein an diesen ag hatte ich sechs Menschenleben auf den Gewissen und zehn schwerverletzte. Aber keiner von ihnen verlor ein Wort über den Täter, sie fürchteten, dass ich wiederkommen würde um mich zu rächen.
Tag 8
Mein Schädel schmerzte stark als ich am, nächsten Tag erwachte. Es war bereits Mittag und der Lärm der entfernten Hauptstraßen war nur leise zu hören. Trotzdem erschien mir jedes Geräusch unnatürlich Laut und schmerzhaft. Es dauerte seine Zeit bevor ich merkte, dass ich in einen der abgelegenen Straßen in einer Ecke eingeschlafen war. Stöhnend und langsam erhob ich mich. Ich bemerkte das verkrustete Blut und den Dreck, beachtete es aber nicht. Mit Hilfe von meinem Bruder ließ ich mich in mein Schlafzimmer beamen.
Der Kater an diesen Morgen war zwar stark, gestern hatte ich den Schlimmsten Absturz überhaupt, aber im Vergleich zu der Gewissheit, dass sich bei Amigo nichts verändert hatte, nichts.
Ich brauchte erst gar keinen Besuch im Krankenhaus abzustatten, oder einen Anruf zu tätigen. Dranzer bestätigte mir, was ich spürte und mir dachte.
Amigos Zustand war noch immer unverändert.
Das kalte Wasser, welches ich mir ins Gesicht spritzte, war erfrischend und doch spürte ich keine erleichterung. Meine Augen brannten und die Wangen glühten. Nur mit Mühe hielt ich mich aufrecht und die Tränen zurück.
'Verdammt nochmal, reiß dich endlich zusammen', ermahnte ich mich selbst in Gedanken, bevor ich das Badezimmer verließ. Ich wirkte wie immer, genauso wie vor den Unfall. Den Kopf stolz erhoben, mit gerade Haltung und einem Aussehen, mit dem ich mich in meinen Alter alles andere als beschweren konnte. Aber eines war anders. Es fehlte mir innerlich an allem. Ich war zerfressen von der nagenden Angst und Trauer um meinen Mann. Was hätte ich nicht längst schon alles dafür gegeben um Amigo gesund und hier bei mir zu wissen?!
Ich atmete tief durch und ging die Treppe hinunter. Meine Hand strich über das blanke Holz des Geländers. Was nützte mir all dies hier, wenn ich meine Lebensabende allein verbringen muss?
Es war ja nicht so, dass ich in Selbstmitleid zerfloss, unsere Kinder hatten es wahrscheinlich sogar noch schlimmer wie ich. Allein der Gedanke, was Amigo in ihrer Zukunft alles verpassen würde brachte mich dem Wasser nahe. Aber nicht jetzt und auch nicht heute. Ich schluckte den dicken Kloß gezwungenermaßen hinunter und suchte nach und nach die Mitglieder meiner Familie auf um etwas mit ihnen zu unternehmen, um jeden einzelnen zu trösten und abzulenken.
Wenigstens sie sollten die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn es immer mehr danach aussah als ob wir umsonst hofften.
Tag 9
Schweigend lauschte ich den Geräuschen im Krankenhaus. Bis auf das leise und entfernte Reden der Krankenschwestern und Ärzte war nichts. Stille. Selbst von draußen drang kein Laut in das Zimmer.
Ich wandte meinen Kopf und sah hinaus.
Die Sonne stand bereits hoch am wolkenlosen Himmel und schien auf die Erde herab. Die Bäume hatten ihre Blätterpracht zu voller Blüte ausgebreitet. Ein leichter Wind brachte die Blätter zum rascheln, durch den das Sonnenlicht fiel. Vögel spielten munter in den Ästen und flogen wieder weg.
Alles wirkte so friedlich.
Aber das stetige Piepen der Maschinen, die Amigo im Koma versorgten, holten mich brutal in die Gegenwart zurück.
Meine Hand glitt in die Hosentasche. Sofort umschlang ich mit den Fingern das dünne Röhrchen und zog es hinaus. Erst nachdem ich mir drei kleine Tabletten genommen und hinuntergeschluckt hatte, sah ich meinen Mann wieder an.
Irgendwie musste man ja wachbleiben.
Der Schlaf brachte mir nichts, er schenkte mir auch keine Erholung. Er gab mir nur eins: Angst!
Jedes mal gaukelten die Träume mir die brutalste Realität vor, nämlich das, was die Ärzte nicht aussprechen mochten.
Hielten sie mich für blöd?
Glaubten sie ich würde es nicht merken?
Sie hatten die Hoffnung aufgegeben.
Sie trauten sich nur nicht es mir direkt ins Gesicht zu sagen.
Nämlich, dass Amigo, ihrer Meinung nach, nicht mehr erwachen würde.
Aber da täuschten sie sich, Amigo würde wieder aufwachen, er musste es.
"Du hast geschworen mich und die Kinder nie allein zu lassen", flüsterte ich ihm leise zu, obwohl er nicht wach war. "Und du brichst kein Versprechen also bitte, wach endlich wieder auf".
Tag 14
Die letzten Tage hatten meine Vermutung nur bestätigt. Nach 12 Tagen hatte man sich getraut mich vorsichtig darauf anzusprechen, dass Amigo nie mehr erwachen könnte. Ich hatte es nicht einsehen wollen und dem Arzt mit einer Klage gedroht. Als er daraufhin aber weiter sprach, wurde ich wütend und schlug zu. Ich war kein Choleriker, der andauernd bei jeden Problem ausrastete und nur mit Gewalt sich Respekt verschaffen konnte. Ich wollte einfach nicht mehr hören, dass selbst die Ärzte die Hoffnung aufgegeben hatten, sie durften es nicht, Amigo musste wieder aufwachen.
Ich saß am Krankenbett meines Mannes und fuhr mir durch die Haare. Ich war aufgewühlt und verzweifelt. Irgendwie musste ich mich ablenken, beschäftigen. Meine Hand glitt rasch in die Hosentasche und umfasste das Röhrchen mit den Tabletten.
Irgendwie musste man ja wach bleiben.
Ich hob meinen Kopf und betrachtete mit trüben Blick das bleiche Gesicht meines Mannes. Wären die Schläuche und Apparate nicht, sähe er ganz friedlich aus, als würde er nur schlafen und jeden Moment wieder erwachen.
Mit einen mal sprang ich auf. Die Plötzliche Bewegung brachte den Stuhl zum kippen, der scheppernd auf den Boden landete.
"Wieso?", fragte ich mit verzweifekter Stimme. "Wieso gerade du? Wach endlich auf, du kannst mich doch nicht alleine lassen". Meine Stimme versagte mir und die Wut loderte wieder auf. Ich war wütend auf den Unfallfahrer, auf mich selbst und auf eine höhere Macht, die dafür verantwortlich war.
Meine Hände ballten sich wie von selbst zu einer Faust, ich schlug gegen die Wand und versuchte die Anstrengungen der letzten Tage an irgendwas auzulassen um mich zu beruhigen.
Aber es brachte nichts.
Ich konnte nicht mehr. Ständig vor allen und jeden die Fasade aufrecht erhalten, dass mit einem selbst alles in Ordnung sei, dass man voller Hoffnung und Optimismus stecke. Schluchzend brach ich im Krankenzimmer zusammen und starrte mit tränenden Augen den Boden an. Ich hatte nicht mehr die Kraft so zu tun. Es war für mich selbstverständlich für meine Familie da zu sein und ihnen zu liebe stark bliebe, aber wer war eigentlich für mich da? Ich bin genauso gestraft mit den Zustand von Amigo wie meine Familie, aber mir machte niemand Mut oder Hoffnungen.
Meine Stirn berührte die kalten Fliesen des Bodens, während Tränen über mein Gesicht rannen. Wie oft hatte ich angeboten, ja, sogar darum gefleht Amigos Platz einzunehmen. Ich war nicht gut darin jetzt noch allein zu leben und mich um die Familie zu kümmern. Das einzige was ich konnte war für mich alleine zu Sorgen. Amigo konnte das alles wesentlich besser wie ich. Er sollte gesund sein und ich angefahren im Koma liegen, nicht umgekehrt.
"Ich kann das nicht ohne dich, ich will es auch nicht ohne dich, verlass mich nicht", flüsterte ich vor mich hin.
Nie mehr seine Stimme zu hören, sein Antlitz zu sehen, oder seine Wärme zu spüren wäre unerträglich. Allein hatte ich nie vorgehabt so alt zu werden. Ich wusste einfach nicht wie es ohne Amigo weiter gehen sollte, ob es überhaupt weitergehen konnte, ich brauchte ihn.
Für Außenstehende mochte es vielleicht immer so aussehen, dass ich eigentlich der sichere Pol in der Familie war, ohne den vielleicht vieles aus den Ruder laufen würde, aber im Grunde war es umgekehrt. Ohne Amigo ging nichts, er ist die starke Kraft in der Familie, nicht ich.
(bin jetzt leider off und komme erst Sonntag wieder, schätzungsweise um 18 Uhr, aber nicht später wie 20 Uhr. Hoffe, dass du dann noch da bist. Bis dann)
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